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"EC234FA" 70 x 50 cm, Faserstift auf Papier
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Wir
sehen übers Papier wandernde Linien, schwarz oder bunt, deutlich gezogen oder
bereits verwaschen. Oben, unten, links oder rechts, sogar vorne oder hinten
verlieren in diesen Zeichnungen ihre Bedeutung.
Andrea
Freiberg hat während verschiedener Autoreisen ihre Eindrücke zeichnerisch festgehalten. Sie hat dabei auf gefalteten
Papierbögen gezeichnet, und so nach und nach jede Seite und jeden Quadranten
bearbeiten. Aufgefaltet erblühen die Papiere zu fantastischen Landschaften. Die
Künstlerin erlaubt uns mit ihren „Zeichnungen von unterwegs“ einen Einblick in
ihre Erlebnisse während der Autofahrt und somit auch Einblicke in ihre
Seherfahrungen während der Bewegung.
Wie
Momentaufnahmen blitzen einzelne Landschaftsaufnahmen aus dem Dschungel der
Linien auf, wie z.B. Bergketten, Tunnelröhren, Brücken oder Autokolonnen. Sie
teilen sich das Papier mit „Nahaufnahmen“ von Vögeln, Schildern, Flaggen,
Blüten, Autokennzeichen und mehr. Das Durcheinander von oben, unten, rechts und
links spiegelt unser eigenes Erinnerungsvermögen wieder. Wir vermischen Dinge
in unserer Erinnerung und können oft nicht mehr genau zuordnen, was wann wo
stattgefunden hat. Einiges scheint nur noch latent „gespeichert“ zu sein – so
wie auch bei diesen Zeichnungen die andere Seite durchscheint und nur noch zu
erahnen ist.
In
unserer Erinnerung wird ein Urlaub oder eine Reise zu einer ebensolchen Collage
von Eindrücken; einer Karte in unserem Kopf, oft ungenau und verworren, dafür
angefüllt mit persönlichen Bezügen und Gefühlen. In den Zeichnungen von Andrea
findet das Sammelsurium an Eindrücken und Erinnerungen durch den spontanen
Entstehungsprozess auf dem Papier eine wunderbare ästhetische Präsenz. Fotografien
hätten die Reiseeindrücke vielleicht ebenso detailliert, vielleicht sogar genauer
festgehalten. Dann aber würden uns nur die Motive präsentiert. Die Lust am
„Nachreisen“ mit dem Auge auf dem Papier wäre verloren. Und auch das Festhalten
anderer Spuren wäre nicht möglich. Erzählen uns doch Rotweinflecke oder
Wasserspuren aus dem Gardasee ganz eigene Geschichten.
Andrea Freiberg ist viel
unterwegs. Neben den Reisezeichnungen gibt es noch andere Hinweise in dieser
Ausstellung, oder genauer gesagt: Beweise. Für
die zweite Serie, die Sie hier sehen, hat die Künstlerin Fotos von
Bußgeldverfahren aus den Jahren von 2003 bis 2014 verwendet, die sie wegen
Geschwindigkeitsübertretungen erhalten hat.
Indem
sie die Fotos vergrößert und verfremdet werden sie als Beweismittel nutzlos.
Ein
Foto, vor allem mit Datums- und Zeitstempel, gilt als oft Beweis, dass eine
bestimmte Person zu einer bestimmten Zeit
an einem bestimmten Ort war und bilden so eine ganz bestimmte Realität ab. Auch
mit diesem Fakt spielt die Künstlerin:
im Internet gefundene Blogeinträge, Forumsdiskussionen oder
Internetartikel mit genau demselben Datums- oder sogar Zeitstempel heben diesen
Absolutismus auf und machen uns bewusst, dass es neben dem eigenen Hier und
Jetzt noch unzählige andere gibt.
Die
Unterschiedlichkeit der Texte unterstreicht das zusätzlich: Fragen zu
Fruchtbarkeitshormonen, eine Geburtsanzeige, Urlaubseindrücke, ein Eintrag zum
Lahmlegen von Facebook.....
Die
verschiedenen Realitäten, die das Internet eröffnet, sind unendlich und stehen
im Gegensatz zu dem statischen Beweisfoto, das nur eine Wirklichkeit kennt.
Unterwegssein,
Erinnerungen sammeln, Spuren hinterlassen; dies sind sehr persönliche Prozesse,
die zunächst immateriell sind. Andrea Freiberg transformiert diese Vorgänge durch
verschiedene Bildentstehungsprozesse, von denen wir zwei hier sehen. So nimmt
sie uns mit auf ihre Reisen, und lässt uns an ihren Spuren und ihren Seherfahrungen
teilhaben.
Ines
Rüttinger, Kunsthistorikerin
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11.10.2010 um 14:15 Uhr, Siegen, Kirchweg Parkplatz I“ 2014 |
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"23.08.2003 um 13:56 Uhr, Engelskirchen-Hardt“ 2014 |
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„15.06.2014 um 12:05 Uhr, Paderborn“ 2014 |
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„05.11.2011 um 23:09 Uhr, Horn-Bad Meinberg“ 2014 |