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Lichtprojektionen und Raumzeichnungen im Gewölbe der Wasserburg Niederroßla, 10. September 2017 |
having HEIMAT, Kunstsymposium, Binderburg in Jena-Burgau, 31. Juli bis 5. August 2017
Aus
der Ferne so nah …
Wir
befinden uns in einer Höhle. Es riecht nach Heu. Es ist etwas kühl
und dunkel. Overheadprojektoren stehen im Raum. Licht wird durch die
an den Wänden projizierten Zeichnungen erzeugt. Landschaften
sind erkennbar, Detailaufnahmen aus der Natur, einzelne Linien, die
sich mit den Texturen der Steinwände verbinden. Pflanzenteile in
Diarahmen werfen große Schattenbilder im Baukastensystem.
Verschiedene Perspektiven werden ausgeleuchtet. Auf
einer Holzplatte, in einer Ecke der Höhle, liegt eine in ein weisses
Tuch gehüllte Person. Ein Lichtstrahl, ausgehend von der Stirnlampe,
bewegt sich im Raum. Nur kleine Bewegungen und Windungen, bis sie
sich erhebt, den Ort verläßt und in die Mitte der Höhle geht, in
der nun eine mit Heu ausgelegte nestartige Vertiefung sichtbar wird.
Hier legt sie sich erneut nieder. Diese Situation erlebt der Besucher
zur Ausstellungseröffnung des Kunstsymposiums "having Heimat"
auf der Jenaer Binderburg.
Die
Arbeit an der Installation "Aus der Ferne so nah" führt
Andrea Freiberg auf die Wege ihres Vaters. In der Region Niederroßla
hat er neun selbstgebaute Holzbänke aufgestellt und eine im Garten
der Künstlerin. Er wählte die Orte aus, stellt sie den Anwohnern
und Wanderern zur Verfügung. Er entschied sich für ganz bestimmte
Perspektiven und Aussichten, die im Verweilen wahrgenommen werden.
Die
Bank sehen wir als Symbol des Ausruhens, Nachdenkens, Verweilens, um
den Augenblick zu genießen. Von ihr aus schauen wir in die Ferne und
können uns selbst dabei so nah sein. Gedanken schweifen. Jede
einzelne Bank ist die Künstlerin abgelaufen, ist verweilt, hat den
Blick in die Ferne gerichtet und hat die Strukturen der Landschaft
auf transparenten Folien nachgezeichnet. Zeichnen ist ein einsamer –
forschender und individueller Prozess. Direkt vom wahrnehmenden Auge
wird über die Hand wiedergegeben, was sekundenschnell abläuft. Doch
es ist keine bloße Wiedergabe des Gesehenen. Der Kopf nimmt wahr,
die Hand führt aus und nimmt alle Eindrücke in diesem Moment mit
auf. Alte Bilder, die blitzartig und fragmenthaft auftauchen. Neue
Bilder, die in Echtzeit ablaufen. Zusammengeführt geben sie
unmessbare Eindrücke von Zeit wieder.
Beim
Laufen zu den jeweiligen Standorten begegnet die Künstlerin alten
Bekannten, Erinnerungen an die Kindheit erscheinen vor ihren Augen,
längst vergessene Blicke werden lebendig und neu erlebt. Die
gedruckten Zeichnungen gehen dagegen physisch in die Tiefe. Wie die
Texturen der über Jahrhunderte entstandenen Gesteinsschichten,
nehmen sie Spuren auf, erfinden Geschichte neu und hinterlassen einen
poetischen Bildeindruck.
"Heimat
beginnt in der Kindheit und wird wieder real im Ankommen, ... dort,
wo ich mich einbringen kann und wo ich mich niederlasse, um
auszuruhen." sagt Andrea Freiberg nach einer Woche intensiven
Nacherlebens und Neuentdeckens des Themas Heimat.
Der
Begriff Heimat kann hier als Spannungsfeld von Unterwegssein und
Ankommen wahrgenommen werden. Orte, die uns zur Ruhe bringen, zum
Anhalten und Verweilen, führen uns Erinnerungsbilder vor Augen,
lassen uns unsere Aktivitäten reflektieren und geben uns die
Sicherheit, diese Orte zu haben.
Nadine
Jacobi, Künstlerin, Jena

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Lichtprojektionen und Raumzeichnungen, Höhle unter der Binderburg, Jena-Burgau, 2017 |
Katalog: AUS DER FERNE SO NAH, Andrea Freiberg 2017